Unternehmen sind auch nur Menschen
Nach Maslows Theorie entwickelt sich die menschliche Motivation in mehreren Schritten - wenn wir uns die Unternehmen ansehen, können wir dasselbe feststellen. Am Anfang, wenn es um das reine Überleben geht, sind Unternehmen nur auf Geld ausgerichtet. Je weiter sich das Geschäft entwickelt, desto differenziertere Bedürfnisse werden vom Unternehmen als Ziele formuliert, bis hin zum Punkt der Selbstachtung, wenn Markenstatus und Reputation den langfristigen Gewinn sichern sollen und die Beziehungen zu den Stakeholdern den Kern der Managementaufgaben bilden. Nur wenige Organisationen gehen über diese Ebene hinaus, wenn Altruismus über Egoismus herrscht und Organisationen für andere als die Eigentümer arbeiten. Der Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft wird diese letzte Entwicklung benötigen und erfordert, dass sich Unternehmen auf ihre ursprüngliche Rolle in der Wirtschaft konzentrieren - zu produzieren, zu verteilen und zum Nutzen aller zu dienen.
Maslow schuf in der Mitte des Zweiten Weltkriegs wesentliche Teile der humanistischen Psychologie und definierte den Menschen überraschenderweise als grundsätzlich gut. Auf dieser Grundlage entwickelte er die berühmten Stufen der persönlichen Motivation, die heute jedem Kind in der Schule beigebracht werden.
Angeregt durch diesen persönlichen Entwicklungsplan möchte ich Parallelen zur Unternehmensentwicklung finden. Als Schmalenbach und Schär vor rund hundert Jahren die Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft entwickelten, betrachteten sie die Unternehmen als denjenigen Teil des Wirtschaftskreislaufs, der für die Versorgung der Menschen mit Bedürfnissen zuständig ist. Ob die Menschen alles bekommen sollen, was sie wollen oder nur das, was sie brauchen, ist Gegenstand aktueller Nachhaltigkeitsdiskussionen.
Auf der untersten Ebene der Motivation wollen sowohl Menschen als auch Unternehmen überleben. Auf Unternehmensebene geht es dabei um einen positiven Cashflow als wichtigstes operatives Ziel. Wenn man sich Turnaround- oder Start-up-Unternehmen ansieht, kann man den strikten Fokus des Managements auf das Bankkonto gut erkennen. Gäbe es keine Gesetze, wären Unternehmen, wie auch Menschen, in dieser Situation nur durch die Moral begrenzt. Um diese risikoreichen, kurzfristigen Bargeldbeschränkungen zu vermeiden, beginnen Eigentümer und Manager, ein System von Menschen, Prozessen und Partnern zu entwickeln, um ein regelmäßiges Einkommen zu erzielen - sie suchen nach einem Geschäftsmodell.
Mit regelmäßigen Einnahmen erreichen Unternehmen eine gewisse Stabilität und die Kraft, auf dem Markt zu wachsen. Das Management blickt über kurzfristige Ziele hinaus und strebt nach mittelfristiger Sicherheit, wie es auch Menschen auf dieser Ebene tun. Neben der Illiquidität müssen weitere Risiken berücksichtigt werden, und das Management wird komplexer, ebenso wie die Unternehmensziele. Neue Märkte müssen erschlossen, neue Produkte entwickelt werden und je mehr das Unternehmen über sein Geschäft weiß, desto besser lassen sich die Risiken steuern. Die permanente Ausgestaltung des Geschäftsmodells ist eine zentrale Aufgabe auf dieser Stufe.
An diesem Punkt verhalten sich Unternehmen und Menschen unterschiedlich. Menschen, die sich sicher fühlen, würden nach Liebe und Zugehörigkeit suchen. Basierend auf dieser Kernenergie würden sie weiterhin nach Respekt und sozialer Wirkung für die individuelle Entwicklung ihres Selbstwertgefühls streben.
Bei Unternehmen scheint es genau umgekehrt zu sein, denn sie konzentrieren sich zunächst auf ihre eigene Entwicklung, bevor sie sich sozial engagieren. Da der Kapitalismus Wachstum impliziert, reicht das Überleben bald nicht mehr aus. Angetrieben von innovativem Wettbewerb auf der einen Seite und dem Wunsch der Eigentümer nach hohen Renditen auf der anderen, streben die meisten Unternehmen nach einer Gewinn- oder Wertsteigerung. Nach Maslow wäre dies ein Wachstumsbedürfnis, da es nie vollständig befriedigt werden kann und ein immer höherer Shareholder Value eine ständige Motivation ist.
Dennoch entwickeln sich Unternehmen genauso wie Menschen. Mit dem St. Galler Management-Modell wurde die Beziehungspflege zur Umwelt als Führungsaufgabe klar definiert. Wechselwirkungen konnten geplant und optimiert werden. Dabei ging es nicht darum, geliebt zu werden, sondern die Effizienz der Organisation zu steigern, indem externe Sichtweisen in Managemententscheidungen einbezogen wurden. Die Sozialisierung der Unternehmen begann, aber der Shareholder Value blieb oberstes Ziel und Motivation für das Management, oft sogar Grundlage für die Entlohnung.
Kunden und Mitarbeiter sind ebenso wichtige Stakeholder wie die Eigentümer. Daher wurden sie viel früher als andere in die Managementtheorien einbezogen. Organisationstheorien konzentrieren sich seit den 1960er Jahren auf die Mitarbeitermotivation als zentralen Produktivitätsfaktor. Neuere Studien zeigen sogar den Zusammenhang zwischen persönlicher Motivation und dem Markenbewusstsein externer Unternehmen. (Strödter, 2008, S.188). Geliebt zu werden ist also gut für das Unternehmen und führt wieder zu mehr Produktivität und Wertsteigerung.
Heute ist die Sozialisierung des Unternehmens ein Schlüsselfaktor in den Managementtheorien, da wir die Kundentheorien über den homo oeconomicus hinaus entwickelt haben und Emotionen und Vertrauen als sehr wichtig für Kaufentscheidungen definiert haben.
Die Möglichkeit der Eins-zu-Eins-Kommunikation über Mobiltelefone und soziale Medien hat den Dialog und das professionelle Beziehungsmanagement zum einzelnen Kunden auf eine hohe Zielebene moderner Unternehmen gebracht. Im Gegenzug konnte mit aufstrebenden Marken-Superstars wie Apple, Red Bull oder Facebook der Marktwert von Markenliebe klar analysiert werden und die Verfolgung von Managementtheorien folgte wieder der Realität.
Und doch würden Unternehmen im Vergleich zu Maslow auf der Ebene der Wertschätzung bleiben, ohne den Kern ihrer eigenen Existenz zu erreichen. Als einer von vier Akteuren im gesamten Wirtschaftskreislauf sind Unternehmen dafür verantwortlich, alle notwendigen Güter und Dienstleistungen für die Menschen zu produzieren und zu vertreiben. Für andere zu arbeiten, ist also die zentrale unternehmerische Aufgabe in der Marktwirtschaft und doch ist sie nie in der Realität angekommen.
Tatsächlich hat sich die Wirtschaftstheorie in Markt- und Sozialwirtschaft aufgespalten. Der Markt steht an erster Stelle, und was nicht durch den Markt oder den öffentlichen Dienst bereitgestellt werden kann, müssen die Menschen selbst organisieren - der dritte Sektor der Wirtschaft, in dem die Bezahlung das Glück ist. Das Konzept des sozialen Unternehmertums wurde kürzlich um ökologische Aufgaben erweitert und wird als Nachhaltigkeitsunternehmertum bezeichnet. Solche Unternehmen verfolgen in erster Linie das Ziel, anderen und der Umwelt Gutes zu tun.
Diese höchste Stufe der Unternehmensmotivation geht über Wachstum als Motivation hinaus. Geld und Gewinn werden zu Mitteln auf dem Weg zur Erfüllung der Nachhaltigkeitsziele reduziert. Im Vergleich zu Maslows Theorie können Unternehmen auch eine Art Selbstverwirklichung, ja sogar Transzendenz erreichen, bei der die Moral das Handeln leitet.
Es wurden bereits mehrere Ideen von Degrowth-Ökonomien veröffentlicht, die sich auf die nachhaltige Nutzung von Ressourcen konzentrieren. Sie haben aber die Unternehmensperspektive noch nicht erreicht, da die Eigenlogik der Reduktion nicht mit den gängigen Vorstellungen von Rentabilität, Effizienz und Innovation übereinstimmt.
Ob sich die Unternehmensmotivation entlang der Kunden und Märkte, der Mitarbeiterkultur oder gar der Gesetze entwickelt, ist noch nicht erwiesen. Die Entwicklung der Unternehmensmotivation muss weiter erforscht werden, um nachhaltige Geschäftsmodelle zu finden, die für uns alle von Nutzen sind.